
Es ist vorbei. Ich nahm (erfolgreich) für das Team Freiberger Alkoholfrei 0,0 an der siebten Auflage des ŠKODA Velorace Dresden teil. Es war meine erste Teilnahme an einem Fahrradrennen. Mein Ziel war Ankommen. Nun erzähle ich von diesem wunderbaren Erlebnis:
Ich war hibbelig, richtig hibbelig. Mal schnell noch einen Schluck trinken und dann noch mal aufs Klo. Keine fünf Minuten war ich von der Schüssel runter und musste schon wieder! Das konnte heiter werden. Ich war viel zu früh vor Ort und alles ging schnell vonstatten. Die Startunterlagen und das Trikot hatte ich innerhalb von 10 Minuten. Von da an hatte ich noch fast zwei Stunden bis zum Beginn des Rennens. Ich hatte dementsprechend viel Zeit für Gedanken und die machte ich mir auch: Es war ja ganz schön warm und sonnig, war das das richtige Wetter für ein Radrennen? Würde es auch ab und zu mal Schatten geben? Hier waren so viele Radfahrer. Gab es genug Platz für alle auf der Strecke? Warum haben die so schnittige, futuristische Fahrräder? Warum haben diese Leute alle so eine drahtige Statur? Krasse Beinmuskulatur! Wieso gucken die mich so komisch an; noch nie einen Bierbauch gesehen? War das wirklich eine gute Idee auch mitzufahren? Ah, noch einer mit Bierbauch und Freiberger-Trikot. – An diesem Punkt wusste ich, dass ich zumindest eine Chance hatte.

Eine reichliche halbe Stunde vor dem Signal begab ich mich zum Startblock. Hier war das Warten noch schlimmer. Immer mehr Fahrer sammelten sich um mich. Einige scherzten, andere wirkten ungeduldig, fast schon aggressiv. Ich wurde noch nervöser: Was, wenn ich den Start verpassen würde? Was, wenn ich hinfiele? Noch mal aufs Klo? Nee! Nach einer Ewigkeit war es so weit. Aus der Ferne konnte ich eine Ansprache hören, wobei ich nicht verstand, was genau gesagt wurde. Ein Startsignal ertönte und es passierte… Nichts. Wir waren im hintersten Startblock E und es wurde in Schüben freigegeben, das musste dieser neutralisierte Start sein. Das war noch schlimmer. Es war losgegangen, ohne dass was losging. Diese Qual! Plötzlich setzten wir uns langsam in Bewegung. Es ging über Kopfsteinpflaster, was auf einem Rennrad nicht sonderlich bequem war. Außerdem waren wir zusammengequetscht wie die Sardinen. Schnell waren wir nicht. Einige stießen sich vom Boden ab, als säßen sie auf Tretrollern und nicht auf Rennrädern. Aus den Augenwinkeln heraus konnte ich erkennen, dass eine Frau an einer Kabelbrücke hängen blieb und stürzte. Diese Irrsinnsfahrt hatte ihr erstes Opfer bereits nach 20 Metern gefunden. Wann war ich an der Reihe? Vom Fahrrad runter und schnell helfen konnte ich nicht, da hätten die anderen mich selber auf die Hörner genommen. Also einfach weiter. Ein paar Kurven und ich befand mich auf Asphalt. Von da an verlief alles glatt und wir wurden auf die Start-Ziel-Gerade gelotst. Danach hatten wir freie Fahrt.

Ich suchte noch nach Leuten, die in etwa dasselbe Tempo hatten. Es gab kaum welche. Die meisten waren zu schnell und verschwanden am Horizont. Plötzlich erspähte ich Linda und Jörg. Ich kannte sie nicht, es war aber auf ihren Rückenschildern zu lesen, wen ich vor mir hatte. Die zwei waren auserkoren, mir Windschatten zu spenden. Bergauf war es mir dann doch zu langsam und so entschied ich doch zu überholen und meine Reise allein fortzusetzen. Ich versuchte immer jemanden in Sichtweite zu haben, um den Streckenverlauf besser vorauszusehen, aber die Streckenposten waren auf Zack und hätten aufgepasst, dass ich den richtigen Weg nicht verlasse. Nach drei Kilometern dachte ich, das schaff ich schon. Nach sechs Kilometern, überholte mich Jörg. Offensichtlich war Linda zu schwach und er ließ sie einfach zurück. In diesem Moment kam die Vermutung auf, es könnte doch noch schwierig werden. Irgendwann kam dann dieser „sanfte Anstieg“ im Tunnel und ich war mir fast sicher, das würde nix mehr mit der Zieleinfahrt. Irgendwie war die erste Runde doch geschafft und dann konnte ich mich Meter für Meter motivieren, doch noch weiter zu machen. Zwischendurch gab es immer wieder Menschen, die mir zujubelten, winkten und mich anfeuerten. Das war cool und gab mir immer wieder einen kleinen Schub. Schließlich konnte ich nicht einfach vor den Augen eines Fünfjährigen oder im Angesicht von Oma Else aus der Fetscherstraße, die einem auch noch eine gute Fahrt wünschte, einfach so aufgeben.

Die Sonne schien mir auf Kopf und Nacken. Der Atem wurde mir immer schwerer. Trost spendete nur die schöne Aussicht. Wäre ich ineinemzug gewesen, hätte ich mir die Nase am Fenster plattgedrückt. Irgendwann verschwanden solche Gedanken und ich versuchte mich nur aufs Atmen und regelmäßige Trinken zu konzentrieren. Mein Tacho sagte mir stets, dass ich gut in der Zeit lag und so konnte ich weitermachen, mich einfach auf mich und die Fahrt konzentrieren. Unterbrochen wurde mein Alleisein ab und an von einigen Vertretern aus dem Spitzenfeld, die in kleinen Gruppen fuhren, um sich gegenseitig Windschatten zu spenden und so das Tempo halten zu können. Es klang immer bedrohlich, als sie von hinten kamen und mich blitzschnell überholten. Es fehlte nur ein Einspieler von Wagners Walkürenritt, um die Situation perfekt zu machen. Ich hätte auch gern Windschatten gehabt, aber auf mich wartete keiner. Da blieb mir keine weitere Möglichkeit, als einsam meine Bahnen zu ziehen. Ich suchte mir immer wieder kleine Fixpunkte, um durchzuhalten. Ich sagte mir immer wieder, wenn ich das nächste kleine Etappenziel erreichen konnte, würde ich den Rest auch schaffen. Ein kleiner Knackpunkt war der Waldschlösschentunnel am 13. Kilometer einer jeden Runde. Hier ging es für mich als recht Untrainierten ganz schön hoch hinaus. Wenn ich den packen würde, konnte ich den Rest auch schaffen. Das Schild kam: „Wendepunkt in 180m“, jetzt hieß es Gänge runter und gemächlich weitertreten. Ich guckte kurz hinter mich, um niemanden zu blockieren und dann nahm ich die Wendeschleife ganz eng, um ja nicht einen Meter zu viel bergauf fahren zu müssen. Die restlichen zehn Kilometer konnte ich dann einfach ruhig abstrampeln. Kurz vorm Zieleinlauf gab es noch einen ermunternden Zuruf vom Straßenrand und direkt auf der Zielgerade machte das Publikum alles vergessen. Die positive Stimmung beflügelte mich und ich passierte erleichtert und für meine Verhältnisse recht schnell das Ziel, aber auch nicht zu schnell, denn wenn ich langsam fuhr, konnte ich länger gesehen werden.

Nun ja, von denen, die ins Ziel kamen, war ich vorletzter. Ist mir aber egal. Dafür, dass ich erst wieder seit drei Monaten fahre und eigentlich schon über meinem persönlichen Limit war, bin ich zufrieden. Ich hatte großen Spaß und will wieder mitmachen. Vielleicht traue ich mir nächstes Jahr die nächstgrößere Distanz zu, ansonsten will ich einfach nur ein paar Minuten eher im Ziel sein als 2019.

Herzlichen Dank and das Team Freiberger für das Vertrauen, die Unterstützung und coole Gimmicks. Gerne wieder!
Besonderer Dank gilt dem Organisationsteam und allen Helfern, vor allem den Rettungsdiensten, die leider auch etwas zu tun bekamen. Danke allen Streckenposten, von denen nur die wenigsten auf der Wiese dösten oder lasen, dass sie mir stets den richtigen Weg wiesen.
Den verletzen Sportfreunden wünsche ich gute Besserung. Bis nächstes Jahr!
Der BLÜÜÜ war ’s
